Erstmals hatte der Bundesfinanzhof (BFH) Gelegenheit zur neuen Grundsteuer nach dem sog. Bundesmodell Stellung zu nehmen. Dieses Bundesmodell gilt für Grundstücke in den Bundesländern Berlin, Brandenburg, Bremen, Mecklenburg-Vorpommern, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Saarland (mit abweichender Steuermesszahl), Sachsen (mit abweichender Steuermesszahl), Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein, und Thüringen. 

Im Rahmen zweier Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes hat der BFH nun entschieden, dass es möglich sein muss, auf der Ebene der Grundsteuerwertfeststellung im Einzelfall einen niedrigeren (gemeinen) Wert nachzuweisen. Übersteigt der vom Finanzamt festgestellte Wert den nachgewiesenen niedrigeren gemeinen Wert um 40 % oder mehr, so ist die Wertfeststellung anhand der typisierenden pauschalierenden gesetzlichen Regelungen des Bewertungsgesetzes nicht mehr zulässig. Sonst läge ein Verstoß gegen das Verbot der Übermaßbesteuerung vor. Die Möglichkeit des Nachweises eines niedrigeren gemeinen Werts lässt sich zwar nicht unmittelbar dem Gesetzeswortlaut entnehmen, ist aber das Ergebnis einer verfassungskonformen Auslegung durch den BFH. 

Aufgrund von Besonderheiten hinsichtlich der Grundstücksituation gelang es den Steuerpflichtigen in beiden vom BFH zu entscheidenden Fällen, jeweils Zweifel daran zu begründen, dass die typisierenden gesetzlichen Regelungen nicht zu einer Übermaßbesteuerung führen. Konkret lagen folgende Besonderheiten vor: 

  • Aktenzeichen II B 78/22: Abrissobjekt → erhebliches Alter des Gebäudes (Baujahr 1880), schlechter Instandhaltungszustand (jegliche Renovierungen unterblieben) 
  • Aktenzeichen II B 79/22: Bebauung in zweiter Reihe, Hanglage, Erschließung für Bebauung schwer möglich 

In beiden Fällen war daher nach Ansicht des BFH die Aussetzung der Vollziehung zu gewähren. Nach summarischer Prüfung sei nicht auszuschließen, dass die Antragsteller jeweils aufgrund einzelfallbezogener Besonderheiten den erfolgreichen Nachweis eines niedrigeren gemeinen Werts ihrer Grundstücke mit der erforderlichen Abweichung zu den festgestellten Grundsteuerwerten führen könnten. 

Des Weiteren wurden im Zuge der beiden Verfahren gegen das Bundesmodell auch folgende verfassungsrechtliche Bedenken vorgebracht: 

  • Strukturelles Vollzugsdefizit: Fehlende Gewährleistung, dass die Gutachterausschüsse bei der Ermittlung der Bodenrichtwerte sämtliche wertbeeinflussenden Grundstücksmerkmale berücksichtigen. 
  • Keine gleichheitsgerechte Bewertung: Im typisierten Ertragswertverfahren erfolgt nur eine unzureichende Differenzierung nach der Lage der Gebäude und der Größe des Grundstücks. 

Zu diesen Fragestellungen äußerte sich der BFH in den beiden Beschlüssen über die Aussetzung der Vollziehung aber nicht. Er ließ beide Fragen ausdrücklich offen.